Guten Tag,
Ralph, der Moderator von der Sendung mit der Maus (für die Älteren unter uns, das ist der Nachfolger von Christoph mit dem grünen Sweat Shirt), hat im letzten Jahr ein wunderbares Buch geschrieben: 99 harmlose Fragen. Meine jüngste Tochter hat es gerade geschenkt bekommen.
„Ist weinen schwieriger oder lachen?“, ist da zu lesen oder „Ketchup? Mayo? Oder Senf?“, „Was ist das Idiotischste, das du tun kannst?“. Wir lachen. Spätestens bei den folgenden zwei Fragen aber merkt man, wie philosophisch sie gemeint sind: „Vergelten oder vergeben?“, „Wenn du Gott, wärst, was würdest du tun?“ Zunächst soll man sich natürlich über diese Fragen unterhalten. Dann aber hat Ralph Caspers immer auch seine eigenen Antworten aufgeschrieben. Eine passt so wunderbar in diese Zeit, in der wir immer weniger wissen, wo wir gerade stehen – wird’s irgendwann besser, wird’s immer noch schlimmer? – dass ich sie mit Ihnen teilen möchte:
Ist das Glas halb voll oder halb leer?
„Zunächst einmal ist so ein Glas“, sagt Ralph Caspers, „das nur zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, trotzdem komplett voll: Unten ist Wasser und darüber ist bis zum Rand Luft im Glas! Nur weil man die Luft nicht wahrnimmt, heißt es nicht, dass sie nicht da ist. Aber zurück zur Frage – und dabei ignoriere ich jetzt einfach mal die Luft im Glas und konzentriere mich nur aufs Wasser.
Halb voll oder halb leer? Das liegt daran, ob man eher sieht, was man hat. Oder ob man eher sieht, was einem fehlt (…)
Wie man ein halb gefülltes Glas beurteilt, kann auch vom Alter abhängen.
Als ich fünf Jahre alt war, war die Welt für mich voller Geschenke. Ich sah vor allem, was ich hatte. Da war das Glas halb voll.
Als ich 15 Jahre alt war und meine Tage aus Teenage-Angst und Weltschmerz bestanden, und ich überall gesehen habe, was falsch läuft, da war das Glas halb leer.
Mit 25 wusste ich nicht, was ich machen sollte. Ich war total ratlos und hatte keinen Plan, wie der Rest meines Lebens aussehen sollte. Ich konnte mich nicht einmal entscheiden, ob das Glas jetzt halb voll oder halb leer war. Es fühlte sich mal so, mal so.
Jetzt habe ich ein Alter erreicht, in dem es für mich keinen Unterschied macht, ob das Glas halb voll oder halb leer ist – ich stelle einfach ein paar Blumen rein und freue mich, dass ich eine kleine Vase mit Wasser gefunden habe.“
(Ralph Caspers, 99 harmlose Fragen für überraschende Unterhaltungen zwischen Eltern und Kindern, Dudenverlag Berlin, 2020, S.83)
Auch das wahrnehmen, was man nicht sieht (im Fall des halbvoll-leeren Glases – die Luft). Sich selbst die Perspektive klarmachen, aus der man gerade guckt, vielleicht auch die Perspektive wechseln. Den Blick für kreative Füllungen schärfen.
Zum Thema halb voll oder halb leer weiß die Bibel: „Vor dir, Gott, ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich." (Psalm 24,11)
Also: Am Wochenende unbedingt Blumen kaufen! Aber manchmal bekommt man die Blumen ja auch geschenkt